Ich stehe hier. Blicke hinab auf mich. Das Ich steht vor einem großen, in den Boden eingelassenen, Betonbecken. Es diskutiert mit einem Mann, ich diskutiere mit einem Mann. Ich schreie ihn an: „Warum hast du zugelassen, dass sie es füllen, warum?“

 

Und tatsächlich, das Becken ist voller Wasser. Schlammig und braun, eiskalt.  Darin steht Andri, mein Sohn. Was tut er dort?

 

Der Mann sagt: „Ich werde es sagen, dass die Kugel an seinem Bein nicht aus Eisen ist sondern aus Holz, unser eigenes Holz, ihr eigenes andorranisches Holz.

 

Das Ich fragt: „Warum tust du es nicht?“ Es sieht traurig aus, das Ich, aber so wütend.

 

Er murmelt: „Und wenn sie ihm nicht hinaushelfen wollen?“ Und da erkenne ich, dass es Can ist.

 

Meinen Sohn umspült das Wasser bis zur Brust. Und es wird höher, höher…

 

Am Beckenrand stehen Menschen mit weißer Haut. Aus ihren Händen fließt die braune Flüssigkeit, vermischt sich mit dem Rest im Becken…

 

Dann geht das Ich. Mein Sohn ruft etwas, doch ich gehe. An seinen Füßen die Eisenketten aus andorranischem Holz. Ein Mann mit weißer Schürze kommt. Er schmeißt einen leblosen Körper in die Fluten, versenkt einen Stein. Der Pegelstand steigt.

 

Ein weiterer Mann geht zum Becken. „Andri, keine Sorge, du kannst schwimmen, du bist ein Fisch. Keine Sorge, nimm es nur an!“

 

Auf einmal sehe ich, dass mein Sohn Schuppen hat. Die Brühe scheint an ihm abzufließen, doch dann färben sie sich braun.

 

Ich sehe, wie Can am Beckenrand steht. Er blickt auf das Wasser. Dann beugt er sich hinab und beginnt zu schaufeln, schmeißt das Wasser aufs Land, doch es fließt zurück, unaufhaltsam.

 

Der Mann, wegen dem mein Sohn Schuppen hat, erscheint.

 

Er ruft: „Andri, komm hinaus aus dem Wasser! Wir haben es doch nicht gewusst! Du bist kein Fisch!

 

Andris Ohren verschwinden, versteinert fallen sie ab, platschen in die merkwürdige Flüssigkeit. Das Wasser steht ihm bis zum Hals.

 

Und jetzt sind da noch andere Menschen. Sie sind mit einer schwarzen Rußschicht bedeckt.

 

Ein Mädchen rennt herbei, rennt zu denen, aus deren Händen inzwischen kein Wasser mehr fließt. Stattdessen blickt die Gruppe staunend herüber.

 

Die Schwarzen brüllen: „Alle hinein in das Becken, los!“

 

Das Mädchen schreit: „Keiner geht hinein!“

 

Ein Schwarzer befielt. Und die Gruppe setzt sich in Bewegung. Mit jedem von ihnen steigt das Wasser etwas… Leckt jetzt an der Nase meines Sohnes…

 

Ein anderer Schwarzer sagt: „Seht her, ich habe ihn. Es ist der mit den braunen Schuppen, der das Wasser verschmutzt!“

 

Cans Stimme gellt durch den Raum; „Nein er ist kein Fisch! Andri, zieh die Schuppen aus!“

 

Mein Sohn steht. Auch ich will rufen, doch ich liege ja im Becken…

 

Ein Schwarzer wirft einen Stein auf Andri. Mein Sohn steht immer noch. Da steigen sie alle in das Becken, umringen mein Kind, da geht er unter, das Becken schwappt über.

 

Can ruft den anderen Weißen zu, schreit vielmehr: „Jetzt spiegelt euch in der Brühe und ekelt euch!“

 

Dann springt auch er in das Becken, geht unter, ist verschluckt. Die anderen Weißen entsteigen und versuchen den Dreck von ihren Körpern zu waschen. Das Waschwasser fließt in das Becken, lässt die letzte Spiegelung Andris verschwinden.

 

Das Mädchen steht da mit einem Kescher, fischt braune Brocken aus dem Wasser.

 

Mein Schrei durchbricht die Nacht.                       

 

                                                                              Verfasst von Leonie Söll, Klasse 10B (2013)